1. Allgemeines
Kinder, die
mangels Ausbildungsplatz ihre Berufsausbildung nicht beginnen oder
fortsetzen können, werden in dieser Zeit regelmäßig von ihren Eltern
unterstützt. Als Ausgleich ist eine Kindberücksichtigung möglich. Nach § 32
Abs. 4 S. 1 Nr. 2c EStG ist ein noch nicht 25 Jahre altes Kind zu
berücksichtigen, wenn es eine Berufsausbildung - im Inland oder Ausland -
mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen oder fortsetzen kann. Die
Berücksichtigung hängt davon ab, dass es dem Kind trotz ernsthafter
Bemühungen nicht gelungen ist, seine Berufsausbildung zu beginnen oder
fortzusetzen. Die Suche nach einem Ausbildungsplatz muss also bisher
erfolglos verlaufen sein oder der nächste Ausbildungsabschnitt einer
mehrstufigen Ausbildung kann mangels Ausbildungsplatz nicht begonnen
werden.
Die Kindberücksichtigung setzt ab 2007 voraus, dass das
Kind noch nicht das 25. Lebensjahr (zuvor das 27. Lebensjahr) vollendet
hat. § 52 Abs. 40 EStG i.d.F des StÄndG 2007 enthält insoweit eine
Übergangsregelung. Danach war ein Kind, das die übrigen Voraussetzungen des
§ 32 Abs. 4 EStG erfüllte und
- in 2006 das 24. Lebensjahr
vollendet hatte (Geburtsjahr 1982), zu berücksichtigen, solange es noch
nicht das 26. Lebensjahr vollendet hatte
- bzw. in 2006
das 25. oder 26. Lebensjahr vollendet hatte (Geburtsjahre 1980, 1981), -
wie zuvor - zu berücksichtigen, so lange es noch nicht das 27. Lebensjahr
vollendet hatte.
Aufgrund der Übergangsregelung wirkte
sich die gesetzliche Änderung somit im Kalenderjahr 2007 noch nicht
aus.
Die Familienkassen haben offensichtlich strikt geprüft, ob ein
Kind schon vorher als ausbildungswilliges Kind zu berücksichtigen ist, wenn
es im Laufe des Jahres eine Ausbildung aufnimmt. Die Prüfung wird auch dann
vorgenommen, wenn Eltern
Kindergeld erst
von dem Monat an beantragen, in dem die Ausbildung aufgenommen wird. Eine
etwaige bewusste Begrenzung des Kindergeldantrages, um die schädlichen
Auswirkungen der Einkunftsgrenze zu umgehen, wird somit unterbunden. Es
gilt daher wohl zu überlegen, ob die Annahme eines Jobs in der Wartezeit
auf eine Ausbildungsstelle nicht die Kindberücksichtigung insgesamt
gefährdet, da die in diesem Zeitraum bezogenen Einnahmen angerechnet
werden.
Beispiele für eine üblicherweise noch nicht abgeschlossene
Berufsausbildung sind die Beendigung der Schulausbildung und die Ablegung
des ersten Staatsexamens, wenn das zweite Staatsexamen für die
Berufsausübung angestrebt wird. Grundsätzlich ist jeder Ausbildungswunsch
des Kindes anzuerkennen. Die Verwirklichung des Ausbildungswunsches darf
jedoch nicht an den persönlichen Verhältnissen des Kindes scheitern. An dem
ernsthaften Bemühen fehlt es, wenn das Kind sich für einen Ausbildungsplatz
bewirbt, für den es die objektiven Anforderungen nicht erfüllt (BFH,
15.07.2003 - VIII R 71/99, BFH/NV 2004, 473). Die Bewerbung muss für den
nächstmöglichen Ausbildungsbeginn erfolgen. Kann eine Bewerbung nicht
abgegeben werden, z.B. für Studierwillige, weil das Verfahren bei der ZVS
noch nicht eröffnet ist, genügt zunächst eine schriftliche Erklärung des
Kindes, sich so bald wie möglich bewerben zu wollen. Es besteht
Ausbildungswilligkeit, wenn das Kind a) noch keinen Ausbildungsplatz
gefunden hat und b) erst ein späteres Antreten des Ausbildungsplatzes aus
schul- studien- oder betriebsorganisatorischen Gründen erfolgt (BFH,
15.07.2003 - VIII R 77/00, BStBl II 2003, 845).
2. Bemühungen
um einen Ausbildungsplatz
Der Berechtigte muss der Familienkasse die
ernsthaften Bemühungen des Kindes um einen Ausbildungsplatz durch geeignete
Unterlagen nachweisen oder zumindest glaubhaft machen. Ist eine Bewerbung
erfolglos geblieben, sind für den anschließenden Zeitraum übliche und
zumutbare Bemühungen nachzuweisen.
Als Nachweis kommen insbesondere
folgende Unterlagen in Betracht:
- schriftliche Bewerbungen
unmittelbar an Ausbildungsstellen sowie deren Zwischennachricht oder
Ablehnung;
- die schriftliche Bewerbung bei der zentralen
Vergabestelle von Studienplätzen;
- die schriftliche
Zusage einer Ausbildungsstelle zum nächst möglichen Ausbildungsbeginn, auch
wenn die Ausbildungsstelle erst später aus schul-, studien- oder
betriebsorganisatorischen Gründen angetreten werden kann (BFH, 15.07.2003 -
VIII R 77/00, BStBl II 2003, 845);
- die Registrierung als
Bewerber für einen Ausbildungsplatz bei der Berufsberatung der Agentur für
Arbeit;
- die Registrierung für eine berufsvorbereitende
Ausbildungsmaßnahme zum nächst möglichen Beginn.
Hinweis: |
| Die Registrierung/Meldung eines
ausbildungsuchenden volljährigen Kindes bei der Agentur für Arbeit dient
regelmäßig als Nachweis dafür, dass es sich ernsthaft um einen
Ausbildungsplatz bemüht hat. Die Meldung wirkt jedoch nur drei Monate fort
(BFH, 19.06.2008 - III R 66/05). Vor Ablauf der Drei-Monats-Frist sollte
sich das Kind erneut als Ausbildungsuchender melden. Anders aber als beim
arbeitsuchenden Kind, bei dem der Kindergeldanspruch nur von der Meldung
bei der Agentur für Arbeit abhängt, kann beim ausbildungsuchenden Kind
allerdings das Bemühen um einen Ausbildungsplatz - außer durch Meldung bei
der Agentur für Arbeit - auch durch Bewerbungen, Suchanzeigen oder ähnliche
Aktivitäten glaubhaft gemacht werden. Zu beachten ist aber, dass es
bei ausschließlichen Online-Bewerbungen ohne entsprechende Dokumentationen
zu Problemen mit dem Finanzamt bzw. der Familienkasse kommen kann.
Telefonische Anfragen können im Einzelfall als Nachweis ausreichen, wenn
detailliert und glaubhaft dargelegt wird, mit welchen Firmen, Behörden usw.
zu welchen Zeitpunkten (erfolglose) Gespräche geführt worden sind.
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3. Wartezeit
Das Kind kann für den
Zeitraum berücksichtigt werden, in dem es auf einen Ausbildungsplatz wartet
(BFH, 25.08.1992 - IX R 320/87, BStBl II 1993, 105). Die Wartezeit beginnt
beispielsweise mit der Beendigung der Schulausbildung oder der Beendigung
eines Ausbildungsabschnitts. Nimmt das Kind ernsthafte Bemühungen erst nach
Ablauf von vier Monaten nach Wegfall eines anderen
Berücksichtigungstatbestandes auf, ist es ab dem Monat der ersten Bewerbung
oder Registrierung zu berücksichtigen. Die Wartezeit endet mit Beginn einer
Berufsausbildung.
Beispiel 1:
| Das Kind K legt die Abiturprüfung im April
2010 ab. Er beabsichtigt, im Oktober 2010 ein Studium zu beginnen und
bewirbt sich im Juli 2010 (Eröffnung des Verfahrens bei der ZVS) um einen
Studienplatz. Im September 2010 erhält K jedoch die Absage der ZVS. Er
möchte sich zum Sommersemester erneut um einen Studienplatz bewerben.
Lösung: K kann ohnehin von Januar bis April und
durchgängig auch von Mai bis September 2010 berücksichtigt werden, weil er
nach dem Schulabschluss die Ausbildung aufgrund des Vergabeverfahrens der
ZVS zunächst nicht fortsetzen konnte. Für den Zeitraum ab Oktober ist er
auf Grund der Absage der ZVS und des weiter bestehenden Ausbildungswunsches
zu berücksichtigen. |
Beispiel 2:
| Der Sohn S legt die
Abiturprüfung im April 2010 ab. Er möchte sich zunächst orientieren und
beabsichtigt, danach eine Berufsausbildung zu beginnen. Im Dezember 2010
bewirbt er sich schriftlich zum nächsten Ausbildungsjahr bei einem
Ausbildungsbetrieb und erhält im Januar 2011 eine schriftliche Zusage zum
August des Jahres 2011. Lösung: S kann
berücksichtigt werden: - bis einschließlich April 2010 als
Kind in Berufsausbildung,
- von Dezember 2010 bis Juli
2011 als Kind ohne Ausbildungsplatz,
- ab August 2011 als
Kind in Berufsausbildung.
Von Mai bis November 2010
kann S nicht berücksichtigt werden, da er nicht innerhalb von vier Monaten
nach Schulabschluss ernsthafte Bemühungen zur Aufnahme einer Ausbildung
gestartet hat. |
4. Zeiten der
Kindesbetreuung
Ein Kind ohne Ausbildungsplatz kann dann nicht
berücksichtigt werden, wenn es sich wegen Kindesbetreuung nicht um einen
Ausbildungsplatz bemüht. Eine Berücksichtigung ist dagegen möglich, wenn
das Kind infolge Erkrankung oder wegen eines Beschäftigungsverbots nach §
3, § 6 MuSchG daran gehindert ist, seine Berufsausbildung zu beginnen oder
fortzusetzen.
5. Aufnahme eines 1-EUR-Jobs
Die
Wahrnehmung eines 1-EUR-Jobs schließt die Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4
Satz 1 c EStG (Warten auf einen Ausbildungsplatz) nicht aus. Eine für den
Anspruch auf
Kindergeld schädliche
Änderung der Verhältnisse i. S. des § 70 Abs. 2 EStG tritt nicht allein
deshalb ein, weil das Kind einen 1-EUR-Job wahrnimmt, da es sich dabei
nicht nur um eine Maßnahme zur Verbesserung der Eingliederungsaussichten
für Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitssuchende, sondern
auch um eine Maßnahme handeln kann, die den Berücksichtigungstatbestand für
die Zahlung von
Kindergeld (Warten auf
einen Ausbildungsplatz) erfüllt.
6.
Vollzeiterwerbstätigkeit
Die Vollzeiterwerbstätigkeit eines Kindes
schließt seine Berücksichtigung als Kind, das sich in einer Übergangszeit
befindet (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG) oder auf einen
Ausbildungsplatz wartet (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG) nicht aus
(BFH, 17.06.2010 - III R 34/09). Daher werden die erzielten
Einkünfte mit angerechnet.